Der Hamburger Ravensbrück-Prozess 07
Sicher habe ich dort eine Nacht geschlafen. In der Früh wurde ich dann schon geholt. Ein gewisser Herr Stuart, der mich mit dem Auto zum Gericht gebracht hat. Ich fragte ihn, was da mit mir passiert und warum ich da in diesem schrecklichen Lager sein muss. Er sagte, dass ich zuerst einmal aussagen müsse und dann würden wir weitersehen. Ich würde jetzt ins Gericht geführt. Dort müsste ich in einer Halle warten ganz allein, bis ich in den Zeugenkofel gerufen würde und dann von dort in den Saal kommen könne und vor dem Richter aussagen könne. Darauf sagte ich ihm, dass es aber da ein Problem gäbe, denn ich bin als Entlastungszeugin vorgeladen, aber ich kann die Vera nur belasten. Darauf sagte er, dass das meine Sache sei und er nicht wisse, wie ich das machen könnte, aber ich müsse alles sagen, was ich weiß. Aber dann sagte er mir folgendes, ich sage ihnen gleich, die Vera hat einen Verteidiger und da er sie angefordert hat, ist es sehr wahrscheinlich, dass er sie aufsuchen wird. Da sagte ich ihm, dass ich aber mit diesem Verteidiger gar nicht sprechen wolle. Ich habe damals so gezittert und bin mir wie ein Analphabet vorgekommen. Der Stuart war ein Engländer. Sehr freundlich. Als ich schon in dieser Halle stand hörte ich plötzlich meinen Namen rufen, das Fräulein Lotte Sontag soll sich sofort in dem Raum soundso melden. Der Herr Doktor muss mit ihr sprechen. Als ich nach Wien zurückkam, fand ich einen Brief von ihm vor, wo er mir vorschreiben wollte, was ich sagen sollte. Ich zitterte wahnsinnig, aber ich versteckte mich hinter einer Säule, damit mich ja keiner sehen konnte. Ich machte so, wie wenn ich nicht da wäre, um nicht mit ihm reden zu müssen. Das war wirklich wie in einem Kriminalroman, aber nur, weil ich von nichts eine Ahnung hatte. Dieser Stuart war so gescheit, dass er mir sagte, falls ich aufgerufen werde, dann solle ich einfach nicht hingehen. Oder so ähnlich, denn ich glaube nicht, dass ich von alleine nicht hingegangen wäre. Ich weiß es aber nicht mehr so genau. Zum Glück musste ich aber nicht mehr lange warten und ziemlich bald musste ich in den Gerichtssaal als Zeugin gehen. Ich kam ganz allein in einen Kofel und von dort dann in den Saal. Es war ein riesig langer Tisch mit Richtern in Talaren und Perücken. Sie legten mir die Bibel hin, auf die ich schwören musste. Das tat ich und ich wurde dann im Zeugenstand befragt. Es wurde mir noch gesagt, dass die Angeklagte Vera ein Recht hat, mir drei Fragen zu stellen und ihr Verteidiger würde sie an mich richten. Die erste Frage war, ob ich Vera kenne, aber so genau weiß ich das nicht mehr, nur an die zweite Frage kann ich mich gut erinnern, denn die war so beeindruckend. Die zweite war, dass Vera behauptete, dass sie immer sehr freundlich zu mir war, mir alles gegeben hätte, was ich wollte, sie einfach ein wunderbar anständiger Mensch war. Darauf sagte ich, ich durfte nur mit Ja oder Nein antworten, ja, ich habe von ihr Schuhe bekommen, aber die waren von den Frauen, die sie ermordet hat. Darauf sagte der Verteidiger den Richtern, dass er nicht wolle, dass ich weiterspreche. Der Stuart hatte das auch gehört und der Richter sagte mir, dass Vera auf die dritte Frage verzichtet. Es war ein Eklat im Saal und alle haben schon zu murmeln begonnen. Für mich war das schon ein Erfolg. Mir wurde mitgeteilt, dass ich in den Kofel zurückmüsse und nicht weiter befragt werden würde. Dort war ich wieder ganz allein. Nachdem noch weitere Zeugen befragt wurden, kam dann der Stuart zu mir und sagte mir, dass ich noch einmal in den Zeugenstand müsse, zu einer neuerlichen Befragung, aber vom Gericht. Das war mein Erfolg.
Dann befragte mich der Stuart, der auch der Ankläger war, was ich wusste über das, was sie getan hat. So konnte ich erzählen was ich wusste.