Der Hamburger Ravensbrück-Prozess 06
Interview-Transkription: MC Kassetten
Lotte Brainin im Dialog mit ihrer Tochter Marianne, 28.9.2000
Die als Belastungszeugen vom großen Prozess in Hamburg zurückgekommen sind haben mich dazu animiert, dorthin zu fahren. Anna Hand, die mit mir im KZ war und die ich noch aus Brüssel kannte, meinte, ich müsse unbedingt dort hinfahren, wenn ich eine Aufforderung dazu bekäme. Sie wusste, dass Vera Salveguart mich als Entlastungszeugin haben wollte, da sie eine gute Beziehung zu mir hatte und auch lieb und freundlich zu mir war. Tatsächlich wurde ich verständigt, dass ich als Entlastungszeugin dorthin zu fahren hatte. Diese Vera glaubte tatsächlich, ich würde sie entlasten. Es gibt verschiedene Akte über den Prozess. Jedenfalls fuhr ich dort hin.
Ich hatte eine sehr scheußliche Fahrt. Alle, die als Belastungszeugen vorgeladen wurden, kamen per Flugzeug dort hin. Aber da ich als Entlastungszeugin vorgeladen wurde, musste ich mit der Bahn fahren. Mit der Bahn dort hinzufahren, nach dem Krieg, wo ich all diese Dinge erlebt hatte und dann mit Soldaten in einem Zug sitzen, die gegrölt und gesoffen haben. Das war mir sehr unangenehm. Ich fuhr damals ganz alleine dort hin. Mein Freund, der war auch ein KZler damals, der wusste auch nicht, dass es vielleicht besser wäre, mich zu begleiten. Wir wussten nichts, wir waren verschüchtert und ängstlich, fühlten uns schlecht und hatten keine Ahnung. Von vorbereitet auf so eine Situation keine Spur. Das einzige, was man mir sagte, war, dass man vor Gericht nur mit Ja oder Nein antworten dürfe. Als Entlastungszeuge hat man kein Recht irgendetwas zu erzählen. Deshalb zweifelte ich auch daran, was es für einen Sinn hätte, dorthin zu fahren, aber schließlich dachte ich, vielleicht gelänge es mir ein Wort anzubringen und doch was zu sagen. Die Partei oder die KZler drängten mich dazu, dorthin zu fahren, aber vorbereitet wurde ich nicht und Begleitung gab es auch keine. Ich wollte nicht hin, denn ich sagte, wie kann ich eine Mörderin entlasten. Jedenfalls war die Fahrt für mich ganz fürchterlich. Es dauerte ungefähr einen ganzen Tag und eine ganze Nacht. Es war ja knapp nach dem Krieg. Es waren verschiedene Soldaten Deutsche, die abgerüstet haben und Engländer, die Besatzung waren. Es waren verschiedene Typen, aber hauptsächlich waren Deutsche in diesem Zug. Soldaten mit einer jungen Frau im Zug, das war schrecklich. Sie haben mich ständig angestänkert, sie waren betrunken. Ich fühlte mich elendiglich. In Hamburg wo ich mich melden musste, führte man mich in einen Block, es war wie ein Militärlager. Dort wurde ich eingewiesen in ein Bett. Dann musste ich zum Essen mich wo melden, da bekam ich mein Geschirr, einen Blechnapf. Der Block war voll mit abgetakelten Soldaten. Ich glaube es waren deutsche Kriegsgefangene. Ich hatte von nichts eine Ahnung. Aber als ich das sah, fürchtete ich mich schrecklich.