Und dann komm ich ins Lager Ravensbrück und werde der Verantwortlichen der illegalen Organisation zugeführt. „Wer ist bei eurer Gruppe?“, fragt sie. Ich nenne die Namen, und sie sagt: „Die Anni kannst gleich fallenlassen, das war ja eine Anarchistin, mit der wollen wir nichts zu tun haben.“. Hab‘ ich gesagt: „Du nicht, aber ich schon! Ich werde mit ihr zu tun haben.“. Na, was soll ich da diskutieren über die sogenannte große Politik, wenn ein Mensch neben mir ist, der anderen geholfen hat und zwar wirklich lebensaufopfernd. Bei unserer Ankunft in Ravensbrück mussten wir einen Tag und eine Nacht im Freien an einer Mauer stehen, bei Schnee, Kälte und ohne Nahrung. Eine Kampfgefährtin aus Belgien, Anni Hand, die schon lange in Ravensbrück war, hat mich entdeckt und mir weitergeholfen. Ich hab‘ auch eine Jugendfreundin wiedergefunden, die Friedl, die ebenfalls schon lange im Lager war. Die hat mich geholt, und wir haben uns dann die Pritsche geteilt. Für mich war das ein großartiges Gefühl, diese Solidarität von Freundinnen und Kameradinnen nach all den Schrecken von Auschwitz, die mit nichts zu vergleichen sind. Die Ravensbrückerinnen aber haben das kaum verstanden. „Leidet ihr alle an Verfolgungswahn, an einer Psychose?“, haben sie uns gefragt. Ihr habt den Tod im Kopf. Sicher, es gibt Erschießungen, es gibt Selektionen, aber solche Massentötungen gibt es nicht, ihr habt wirklich einen Wahn! Das hat mich sehr empört, muss ich sagen. Niemand kann Auschwitz verstehen, der es nicht erlebt hat. Auschwitz war eine Hölle. Mit Hilfe der illegalen Organisation bekam ich statt meinem jüdischen Winkel einen arischen, einen roten, durch den man etwas geschützter war. Und wurde von ihnen in die Uckermark geschickt. „Dorthin geh ich nicht“, hab ich erklärt. Ich hab‘ mich sehr gesträubt. Ja, das ist in einem Wäldchen, haben mir die von der illegalen Organisation eingeredet, so wunderbar, eine herrliche Luft, da kommen nur die Alten hin, die Kranken, die werden dort aufgepäppelt und gepflegt. Es dauert nicht mehr lange, dann werden wir befreit sein. „Das gibts nicht“, hab‘ ich gemeint. „Bei den Nazis gibt es kein Erholungslager, ich geh‘ nicht.“ Ich habe mich lange gesträubt, aber dann ließ ich mich doch überreden. Das sind ja alteingesessene Funktionshäftlinge, die wissen, was sie reden, hab‘ ich gedacht.
Ich bin in die Uckermark gegangen, mit meinen zwei Freundinnen aus Auschwitz. Die Betty war dann Lagerälteste, die Herta Lagerschreiberin und ich die Läuferin. So bin ich überall im Lager herumgekommen, hab alles gesehen und gehört. Sehr rasch haben wir bemerkt, dass die Uckermark tatsächlich ein Vernichtungslager war. Wir haben gesehen, wie die SS die Menschen im Lastwagen wegführt, wir haben uns gedacht, genau wie in Auschwitz. Für uns war klar, die gehen ins Gas. Andere Häftlinge wurden in das sogenannte Revier gebracht und starben sehr rasch. Bis wir herausgefunden haben, dass man sie ebenfalls ermordet. Dort gab es eine Krankenschwester mit einem schwarzen Winkel, die Vera Salvequart. Sehr lieblich war sie und sehr freundlich, von ihr haben die Kranken das weiße Pulver angenommen. Es war Luminal! Das hab‘ ich nach dem Krieg erfahren. Täglich hat man viele damit getötet. Die SS hat alte, kranke Frauen stundenlang in der Kälte und im Regen, ohne Bekleidung und ohne Essen, stehen lassen, bis sie umgefallen sind. Wenn sie nicht gleich tot waren, wurden sie ins Revier geschleift und dort auf diese Weise umgebracht. Die Vera hat mich in der Baracke herumgeführt, die in Wirklichkeit eine Vernichtungsstätte war. Ich hab‘ gesehen, wie die Frauen dort elend zugrunde gehen. „Vera, wie kannst du? Mach das nicht, Vera, wie kannst du das machen?“ Daraufhin hat sie mir erklärt: „Na, was soll ich denn tun? Ich bin von der SS dazu ausgesucht worden, weil die Kranken sich wehren, Injektionen oder das weiße Pulver von ihnen, der SS, zu nehmen. So mach ich es eben.“