Ich weiß nur von einer, von der Mala Zimetbaum. Sie war ein hoher Funktionshäftling und konnte sich SS-Kleider verschaffen. Leider sind fast alle, die geflüchtet sind, verraten worden. Auch den Klahr hat man erschossen. Von der Fabrik bin ich dann weggekommen. Eine Kameradin hat mich rechtzeitig gewarnt, dass meine Tätigkeit für die Kampfgruppe aufgefallen sei.
Ich hatte eine slowakische Freundin, eine Lagerläuferin, die ich für unsere illegale Organisation gewinnen konnte. Für uns war sie eine besonders wertvolle Hilfe, da sie im Lager eine große Bewegungsfreiheit hatte. Dieser Freundin ist es gelungen, mir Arbeit in einem anderen Kommando zu verschaffen. So schwer die Arbeit in der Fabrik auch war, so haarsträubend die Zustände, die dort herrschten — man hatte doch mehr Überlebenschancen als draußen bei Arbeiten in Schnee, Kälte und oftmals noch ärgeren Schlägen. Trotzdem war ich froh, von dort wegzukommen, denn ich musste fürchten, verraten zu werden. Das wäre mein sicheres Ende gewesen. Den ganzen Tag haben wir dort geschuftet und nur gehungert. Immer haben wir vom Essen gesprochen. Hundert oder zweihundert Speisen mit Spaghetti, die wir kochen könnten, haben wir uns aufgezählt. Stundenlang haben wir davon geredet. Ich begreif das heute gar nicht mehr. Von den Kapos sind wir ganz scheußlich behandelt worden. Sie haben mich vor einen Wagen, beladen mit eisernen Fässern, gespannt. Wie ein Pferd. „Wenn ich nur auf der Stelle tot umfallen würde“, hab‘ ich gedacht, “ich kann das nicht mehr ertragen.“. Kennen Sie die Redensart „Ich schmier dir eine, dass du Sterne siehst?“. Ich erinnere mich, einmal hat mich die Kapo des Union-Kommandos mit einem riesigen Schöpfer so auf den Kopf geschlagen, dass ich wirklich Sterne gesehen hab‘. Und dann dieses Lagerorchester, was für eine zynische Idee! Beim Lagertor musste es aufspielen, wenn die ausgemergelten und zerschlagenen Häftlinge zur Arbeit marschiert oder zurückgekommen sind. Es waren Gefangene, die gegeigt und musiziert haben. Ich hab‘ das so haarsträubend gefunden, dass man auf der einen Seite ständig die Schornsteine rauchen und brennen sieht, auf der anderen Seite die Häftlinge mit Musik da vorbeimarschieren lässt. Für mindestens zwei Jahrzehnte nach meiner Befreiung konnte ich keine Musik mehr hören.Ich war total fertig, ich war ganz krank, wenn ich nach dem Krieg Musik hören musste. Aber nicht jeder hat das so empfunden. Für mich war diese Musik, war dieser Widerspruch ganz arg. Komisch, ich kenne niemanden, der das auch so stark empfunden hat. Als das Lager im Jänner 1945 evakuiert wurde, mussten wir ich glaube vier Tage und vier Nächte marschieren, ununterbrochen. Das war der sogenannte Todesmarsch. Die SS hat jeden, der nicht mehr gehen konnte, sofort erschossen, gleich am Weg. Ständig hörte man es knallen, von allen Seiten. Meine Freundin, die Herta, hat sich hingesetzt, so, ich geh nimmer, ich kann nimmer. Nicht nur, dass wir uns selbst dahingeschleppt haben, wir mussten auch sie mitschleppen. Hätten wir sie sitzen lassen, wäre sie auf der Stelle erschossen worden, wie alle. Dann sind wir verladen worden auf offene Kohlenzüge. Auf einem dieser Waggons ist auch die Anni Amster gewesen, eine Spanienkämpferin aus meiner Gruppe. Sie war gelernte Krankenschwester, und während dieses Transportes hat sie sich vor jede Frau hingekniet, um ihr die Füße zu massieren, obwohl sie selbst ganz geschwächt war. Den ganzen Weg hat sie eine nach der anderen massiert, damit den Frauen die Füße nicht abfrieren. Es war doch Jänner, die ärgste Kälte, der Schnee ist gefallen, und wir waren in offenen Waggons.