Der Aufstand fand nicht statt | Lotte S. 04

Ich war in der Kontrolle und musste Eisenstücke, so kegelförmige, prüfen, ob sie in Ordnung sind. In meiner Abteilung stand ein ganz langer Tisch,an dem Frauen gearbeitet haben. Wir waren bald eine verschworene Gruppe, die sich das Ziel gesetzt hat, die Produktion der Munitionsfabrik zu sabotieren. Wir haben uns bemüht, sehr viel Ausschuss zu produzieren. Auch die guten Stücke gaben wir zum Ausschuss. So einfach war das nicht, denn der Meister, ein deutscher Zivilarbeiter, schöpfte bald Verdacht. Alle paar Tage hat er einen wilden Beschimpfungsvortrag gehalten und geschrien, wir kriegen nichts zu essen, wir kommen in den Bunker. Aber eine hätte die andere nicht verraten. Wir waren jung und eher mutig, muss ich sagen. Einmal hat uns ein Mädchen von der Pulverkammer ein Stück Brot gegeben, in dem Sprengpulver versteckt war. Sie hat uns beauftragt, dieses Brot mit dem Pulver ins Lager hineinzubringen, unsere Fabrik lag ja außerhalb. Wie bringt man das ins Lager? Gerade an diesem Tag wurden wir wieder gefilzt, am Tor. Sofort hat ein Mädchen dem anderen das Brot weitergegeben, durch viele Hände ist es gegangen und dann wieder zurück. Eine hat von der anderen den Namen gar nicht gewusst. Ich hab‘ auch nur meine engsten Freundinnen namentlich gekannt. Wohin das Pulver letzten Endes gekommen ist, weiß ich nur aus Erzählungen: zum Sonderkommando, das eines Tages einen Aufstand gemacht und das Krematorium gesprengt hat. Mit dem Sprengpulver hab‘ ich ja weiter nichts zu tun gehabt. Ich war in der Kontrolle, aber wir haben versucht, einander zu helfen. Leider sind die Mädchen, die das Sprengpulver organisiert haben, verraten worden und wochenlang im Bunker gesessen. Man hat sie dort unmenschlich gequält und dann öffentlich gehängt, zwei während der Tag- und zwei während der Nachtschicht — als abschreckendes Beispiel für alle, die in dieser Fabrik gearbeitet haben. Das waren vier jüdische Mädchen aus Polen, erhobenen Hauptes sind sie in den Tod gegangen. Wir mussten alle antreten im Lager, ohnmächtig und voll Trauer mussten wir zusehen, wie diese jungen Frauen ermordet wurden. Trotz ständiger Bedrohung und Bespitzelung ist es uns gelungen, eine Organisation aufzubauen. Mit den Frauen der verschiedensten Nationen und einer internationalen Leitung, in der ich die österreichischen Frauen vertreten hab‘. In der Fabrik hatte ich die Möglichkeit, mit der Kampfgruppe der Männer in Kontakt zu kommen. Eine Wiener Freundin aus meiner Gruppe arbeitete an einer Maschine neben einem belgischen Kameraden, sie hat ihm unsere Namen genannt und ihm anvertraut, dass wir schon eine kleine, verschworene Gemeinschaft sind. Er selbst war ein Mitglied der Kampfgruppe im Männerlager und hat den Verantwortlichen informiert. Das war der Kommunist Alfred Klahr, den ich aus Brüssel, von der österreichischen Gruppe dort, kannte. So war die Verbindung bald hergestellt. Eines Tages, während der Arbeit, kam er zu mir in die Fabrik. Ich hab‘ ihn sofort erkannt, den Klahr. Ein sehr sauberes Häftlingsgewand hat er angehabt und eine saubere Mütze, die gestreifte. Er war Funktionshäftling und konnte es offenbar arrangieren, kurz in die Fabrik zu kommen, um die direkte Verbindung aufzunehmen. Er versprach, mit mir Kontakt zu halten und mir wichtige Informationen für meine Gruppe zukommen zu lassen. Das nächste Mal, als ich wieder von ihm hörte, ließ er mir ausrichten, dass die Kampforganisation einen Aufstand vorbereite. Wir sollten versuchen, Molotow-Cocktails herzustellen. Wie versucht man das? Einigen unserer Mädchen ist es gelungen, von den Arbeitern des Fuhrparks Benzin in ganz kleinen Mengen zu bekommen und in Flaschen, die wir uns beschaffen konnten, aufzubewahren. Diese Flaschen wurden an einem sicheren Ort versteckt. Das war die eine Sache.