Elie Topf 03
Natürlich konnten wir ihr kein Geld bezahlen, meine Mutter hätte sich nie eine Bedienerin leisten können. Aber da Hanju zufrieden war mit dem, was wir hatten, teilten wir alles mit ihr. Sie beschützte uns vor anderen Kindern in der Straße, sie kochte uns das Essen, sie half uns wo sie konnte. Hanju lernte nie Deutsch, aber sie sprach halb Jiddisch und halb Polnisch oder Ruthenisch. Wir verstanden sie, sie verstand uns. Wir sprachen Deutsch, die Mutter sprach Jiddisch, aber mein Vater bestand darauf, dass wir Hochdeutsch sprechen. Wir mussten ihn immer in der dritten Person anreden, und durften nicht „du“ zu ihm sagen. Er war immer sehr streng mit uns. Überhaupt sahen wir ihn nicht sehr viel. Der Vater war zumeist nicht zu Hause. Wenn wir fragten wo er sei, so hörten wir, dass er im Kaffeehaus oder im Verein sei. Er hat auch nicht sehr viel gearbeitet und hat nichts dazu beigetragen, uns zu erhalten. Das alles musste die Mutter machen. Sie saß von frühmorgens bis zum späten Abend an der Maschine und nähte. Davon lebten wir damals. Wir waren sehr arm, obwohl wir nicht wirklich gehungert haben. Die Mutter kümmerte sich immer, dass ein Stück Brot und ein paar Kartoffel da waren. Ich glaube als Kind merkt man nicht so sehr, dass einem was abgeht, wenn man genug zu essen hat. Wenn ich aber zurückdenke, dann weiß ich, dass sehr viel gefehlt hat, was wir gebraucht hätten. Hygienische Artikel, Nahrung, Kleidung u. s. w. In unserer Umgebung waren die meisten Leute sehr arm. Sehr viele jüdische Familien haben da gelebt. Es gab einige wenige, von denen wir dachten, dass sie reich seien. Aber heute weiß ich, dass auch sie nicht reich waren. Es ging ihnen nur etwas besser, sie konnten sich kleiden und sie konnten ein normales Essen auf den Tisch bekommen. Das war ungefähr die Situation.
Wir wohnten nicht weit vom Augarten entfernt und spielten auch dort, aber meistens doch auf der Straße vor der Türe. Es war leichter für die Mutter zu sehen, wo wir sind. Mit den Nachbarskindern hatten wir natürlich Kontakt und es war kein Unterschied ob sie in derselben Situation wie wir waren oder nicht. Aber die meisten waren arm. Mit sechs Jahren musste ich wie alle anderen Kinder zur Schule. Ich sollte zu einer Untersuchung, wo festgestellt wurde, dass ich unterernährt, zu klein und zu schwach für mein Alter sei. Aber ich konnte die paar Fragen, die man mir stellte, gut beantworten und so durfte ich im Jahre 1925 die Schule beginnen. Da ich im Oktober geboren bin wollte man mich ein Jahr zurückstellen, doch ich kam in die erste Klasse. Meine Geschwister waren auch in dieser Schule gewesen. Die erste Klasse war in der Volksschule Wasnergasse. Meine Schwester Lotte ging dann in der Volksschule Karajangasse in die erste Klasse. Die Lehrer waren damals nicht sehr tolerant. Wenn sie wussten, dass wir Juden waren, dann behandelten sie uns nicht sehr fein. Es war aber selten offener Antisemitismus. Natürlich kam es auf den Lehrer an, wie er zu der ganzen Frage von anderen Religionen gestanden ist. Aber doch gab es Antisemitismus. Wir waren sehr viele jüdische Kinder in der Klasse, einige tschechische Kinder. Besonders die Ärmeren litten darunter oder wenn sie jüdische Namen hatten. Solange der Lehrer meinen Vornamen nicht wusste spürte ich gar nicht, dass er antisemitisch ist. Aber als er mich fragte und ich antwortete mein Name sei Elijahu, da war dann natürlich die nächste Frage: „Was ist denn das für ein Name? Hebräisch, ah du bist ein Jud“? Und von da fing es natürlich an. Aber es gab auch einige Lehrer, die sehr tolerant waren, andere waren es nicht. Sie ließen es auch Kindern anderer Religionen oder Nationen spüren, dass sie nicht gerade willkommen sind. Ansonsten war die Schule ein Platz, wo ich andere Kinder treffen konnte und so war es für mich mehr Unterhaltung als etwas anderes.