Elie Topf 02

Interview-Transkription: MC Kassetten
Elie Topf im Dialog mit seiner Nichte Marianne, 17.6.1998

Ich bin 1919 nach dem ersten Weltkrieg geboren. Wahrscheinlich zu Hause, da meine Mutter manchmal eine Hebamme erwähnte. Die jüngste Jugend verbrachte ich in der Karajangasse im 20. Bezirk in Wien. Wir hatten eine Wohnung, die aus drei Räumen bestand. Einer Küche, die sehr klein war, dann einem Raum, der einen Eingang von der Gasse aus gehabt hat, das war sozusagen ein Geschäftsladen, der uns als Wohnraum diente und dann gab es noch einen Raum, wo wir geschlafen haben. Ich war das vierte Kind, also waren wir sechs Personen, ein Jahr später ist dann noch meine Schwester Lotte geboren und so sind wir bald zu siebt in dieser kleinen Wohnung gewesen.
Die früheste Erinnerung ist, dass die Gasse unser Spielplatz war. Die Gassen waren damals sehr eng und es fuhren noch Pferdefuhrwerke. Gaslaternen waren die Straßenbeleuchtung. Die Karajangasse war noch nicht gepflastert.
Wir hatten kein Wasser in der Wohnung und das Klosett, das am Gang war, mussten wir mit den anderen Parteien teilen, ungefähr sechs Parteien für zwei Klos. Außerdem gab es keine Wasserspülung, man musste an einem kleinen Knopf ziehen und dann ist das Ganze wahrscheinlich in eine Senkgrube gefallen. Natürlich war der Geruch abscheulich, der sich dann noch mit diversen Gerüchen aus den Küchen vermengt hat. Der Hof war düster und klein, mit einer großen Klopfstange, auf der die Teppiche ausgeklopft wurden. Nur die Küche gab unserer Wohnung, die feucht und kalt war, etwas Wärme, da wir dort mit Kohle und etwas Holz geheizt haben. Außerdem hatten wir einen ganz kleinen Eisenofen im Zimmer mit einem großen Abzugsrohr, das durch das ganze Zimmer ging. Es war natürlich sehr teuer zu heizen und man sparte, wo man nur konnte. Das meiste Geld ging aber für Lebensmittel auf. Es lebte noch eine Person bei uns, das war die berühmte Hanju. Sie war unser Mädchen für alles. Eigentlich kam sie durch einen Zufall zu uns. 1914 spazierte meine Mutter mit meiner ältesten Schwester, mit Clary, im Augarten.
Dort sahen sie plötzlich eine Frau auf einer Bank sitzen, die etwas übermüdet und verwahrlost aussah. In einem Tuch hatte sie ein paar Habseligkeiten eingewickelt. Clary lief zu ihr und wollte mit ihr sprechen, aber sie konnten sich nicht verständigen. Clary kannte die Sprache, welche diese Frau sprach, nicht. Es stellte sich heraus, dass es Ruthenisch war. Die Sprache, die man damals in der Ukraine gesprochen hat und die auch meine Mutter verstand. Diese Frau war, auf Einladung einer Familie, nach Wien gekommen, bei der sie hätte arbeiten sollen. Mama brachte sie zu dieser Familie, aber es stellte sich heraus, dass sie keinen Platz für Hanju hatten und so war die Frau wieder auf der Straße. Also nahm meine Mutter Hanju zu uns mit. Sie stellte ein Bett in der Küche auf und am nächsten Tag würde man dann weitersehen. Hanju sah wie eine alte Frau aus. Sie war aber nicht alt, vielleicht zwischen zwanzig und dreißig Jahre. Sie half meiner Mutter, uns zu betreuen.