Liesl Kahane 02

Interview-Transkription: MC Kassetten
Liesl Kahane im Dialog mit ihrer Nichte Marianne, 31.7.1999

Ich bin in Wien geboren, am 29. Oktober 1917. Ich glaub, das war im Spital und das hat Lucina geheißen. Aber ich bin nicht sicher, vielleicht bin ich in der Karajangasse geboren, ich weiß es nicht genau. Ich weiß, ich war eine Zangengeburt, großschädlert. Ich wollte nicht raus, es war zu warm drinnen. Das dritte lebende Kind, vor mir war ein Bub, der gestorben ist, der hat Salosch geheißen, oder Salo. Wir haben in der Karajangasse 11, Tür 6 gewohnt. Dort haben wir gewohnt, bis zum 27er oder 28er Jahr und dann sind wir delogiert worden. Ich bin in der Karajangasse in die Schule gegangen, in die Volksschule und dann in die Hauptschule in der Oberen Augartenstraße. Wir sind immer in öffentliche Schulen gegangen. Wir haben aber auch die jüdische Schule besucht, eine Bibelschule für Hebräisch, das war in der Othmargasse im 20. Bezirk. Wir haben alle die Mama sehr verehrt, sie war bei uns wie ein Gott und mein Papa war sehr streng. Und der hat uns auch sehr oft geschlagen, misshandelt und die Mama hat uns immer verteidigt. Sie ist immer dazwischen gestanden. Und ich erinnere mich, sie hat sehr viele Abortus gehabt und da hat sie sehr viel mitgemacht. Ich erinnere mich, einmal war sie sehr krank, da hat sie Bauchfellentzündung gehabt, sie war auch im Spital und die Clary hat auf uns aufgepasst. Und mein Papa war ein großer Vereinsmeier, er war sehr intelligent, hat schön gesprochen, hat sich gern sehr schön angezogen und war ein großer Draufgänger, mit Frauen speziell. Und er ist sehr gern im Kaffeehaus gesessen und hat Karten gespielt, Jägerhof hat das geheißen.
Das hat vorher Mathildenplatz geheißen und nachher Gaußplatz. Dort hast ihn immer finden können und wenn er kein Geld gehabt hat, ist er zur Mama gekommen und sie hat ihm zwei Schilling gegeben. Der ist den ganzen Tag im Kaffeehaus gesessen, die Mama hat genäht. Ich erinnere mich, wie wir schon älter waren, ich glaub da haben wir sogar schon in der Liechtensteinstraße gewohnt. Sie hat immer alle versorgt, alle Kinder waren immer mit ihr.
Auch wie die Eltern schon geschieden waren, hat sie uns alle versorgt. Und wenn sie in der Früh aufgestanden ist und wir nichts gehabt haben – sie wollte nicht, dass wir Kinder es wissen – sie ist zur Nachbarin gegangen, hat gesagt, sie soll ihr ein paar Schillinge geben, sie wird ihr dann was nähen. Sie hat für sie gearbeitet, die Mama war Schneiderin. Ich weiß nicht, ob sie es gelernt hat oder nicht, aber sie war Schneiderin. Wie wir schon halberwachsen waren, hat sie einen Posten bekommen, als Zuschneiderin und das war ein Beruf meistens für Männer, mit so einer großen elektrischen Maschine auf einem Tisch. Da hat sie bei einem Schneider in der Grünentorgasse gearbeitet, da haben wir schon im 9. Bezirk gewohnt. Sie war sehr arbeitsam, sie war immer sehr lustig und sehr traurig, sie konnte lachen und weinen zur selben Zeit. Sie ist immer vor der Maschine gesessen. Wie wir noch ganz klein waren, ist der Papa nach Italien gefahren, als Vertreter. Er hat gesagt Vertreter, Auslandsvertreter, aber ich weiß nicht was für ein Vertreter er war. Ich weiß nur, er war immer in Vereinen in Wien.