Kindheit und Jugend 06

Meine älteste Schwester Clary lernte Sekretärin und lernte bei einem Anwalt, Liesl war eine Konturistin in einem Kaufhaus, Heini arbeitete in der Stadlauermühle und Elie war Schuhoberteilerzeuger, was er fast ausgelernt hat.
Ich bin die einzige, die keinen Beruf erlernt hat. Ich ging gleich in die Fabrik als Hilfsarbeiterin. Später nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit bekam ich in einem chemischen Labor eine Arbeit, und zwar bei der Firma Scherk. Das war eine deutsche Firma. Im März 1938 sagte meine Chefin, dass ich nicht mehr kommen bräuchte, da die Firma Scherk keine Jüdinnen beschäftige. Nur mein Bruder Elie arbeitete bei einem jüdischen Mann. Zufällig traf ich die Schwiegertochter dieses Mannes dann im Lager. Sie und ihren Sohn habe ich zufällig in Auschwitz kennengelernt.
Sie kam aus Paris, wo sie einen Mann hatte, der auch nach Auschwitz verschickt wurde. Ich fragte sie nach dem Namen ihres Mannes und als sie mir den Vornamen nannte, fragte ich sie ob er Kreindl geheißen hatte. Zufällig hat mir Elie immer von einem Freund namens Adi Kreindl erzählt. So schloss sich damals der Kreis. Gott sei Dank hat sie überlebt, er kam leider nicht zurück. Meine Mutter hat noch in Polen Schneiderei gelernt. Aber sie hat meistens als Näherin gearbeitet, da sie als Meisterin nicht arbeiten konnte ohne Papiere. Sie hat sich nie richtig darum gekümmert. Sie hat einerseits Stückarbeit für große Kaufhäuser gemacht, indem sie Kleider genäht hat, ein ganzes Pack an einem Tag musste sie runter radeln. Damals gab es aber noch keine elektrische Maschine. Sie bekam Stückware zugeschnitten, das musste sie runter nähen. Da brauchte man sie auch nicht anmelden, es wurde keine Versicherung gezahlt etc. und das wurde dann ganz billig verkauft. Aber meine Mutter machte das gerne, denn so hatte sie eine Arbeit. Vielleicht war das aber nur Saisonarbeit, denn wenn keine Arbeit da war, dann hat sie für verschiedene Frauen in der Umgebung genäht. Das waren dann richtige Kleider und Hosen. Sie konnte alles. Mäntel, Kostüme, sie war sehr geschickt. Auch für uns Kinder hat sie das Gewand genäht. Zuerst nur für Clary und Liesl. Clary ließ sich alle Augenblicke ein neues modernes Modell nähen. Später hat sie bei jemandem privat gearbeitet, da war sie auch nicht angemeldet. Da arbeitete sie dann als Zuschneiderin. Da legte sie einen Stoß Stoff auf und schnitt dann mit einem elektrischen Messer zu. Ich bin dort immer unter dem Tisch gelegen und habe zugeschaut. Sie schnitt alles gleich mit Schablonen zu. Das konnte nicht jeder, aber sie war wirklich sehr tüchtig. Wenn meine Mutter arbeitete gab es gerade genug um zu überleben. Ich glaube, dass wir immer sehr wenig hatten. Vielleicht ging es uns ganz früher noch etwas besser, aber nur bis zu meinem 4. oder 5. Lebensjahr. Clary hat immer versucht, eine bessere Schicht zu finden. Sie war sehr begabt und hübsch und lustig. Und als sie beim Rechtsanwalt arbeitete, hatte sie immer mit der Mittelschicht Kontakt.