Widerstand im Exil 08

Damals war unsere Parole „Nieder mit dem Kapitalismus“, „Nieder mit dem Faschismus“. Später in Brüssel hat man sehr viel darüber diskutiert. Bald in Brüssel hat es aber den Hitler-Stalin-Pakt gegeben, und wir mussten alle Parolen fallen lassen. Wir waren immer für den Kampf gegen die Nazis. Dann sagte man aber plötzlich, dass Hitlerdeutschland die Verbündeten von unserer Sowjetunion sei. Man diskutierte darüber, aber man sagte nicht direkt, dass wir nichts mehr gegen die Nazis tun sollten. Als z. B. die Wehrmacht in Belgien einmarschierte wurde der Vorschlag von mir, dass wir die Soldatentransporte sabotieren könnten, abgeblockt, mit der Begründung, dass wir gegen den individuellen Terror seien. Das war zwar immer ein Leitsatz von uns, aber in einer solchen neuen Situation hat mich das damals sehr gestört. Ich bin doch als Jüdin weg vor den Nazis und jetzt sollen das meine Verbündeten sein, das war sehr sehr schwierig. Und die jüdischen Genossen, die vorher schon in Spanien waren, die hatten sicher nicht meine Stimme, aber was hätte ich da machen sollen, aber ich hatte das Gefühl, dass das nicht meine Freunde sind. z. B. sagte man uns, dass keiner seine Wohnung verlassen sollte. Also die Deutschen sind einmarschiert, aber keiner brauche die Wohnung zu verlassen, es wird euch nichts passieren. Aber meine Mama und ich, wir wollten weglaufen. Wir sind aus Wien weg, weil wir uns vor den Nazis gefürchtet haben, wir laufen auch in Brüssel weg. Wir sind in Richtung Meer gelaufen und sind bis nach Dünkirchen gekommen. Herta und Juci, die auch dabei waren, drehten am halben Weg wieder um, weil sie es nicht aushielten. Am Weg nach Dünkirchen mussten wir am Weg übernachten, einmal auf einem Heuboden, einmal saßen wir die Nacht über in einem Gasthaus und warteten, bis die Nacht vorbei war. Als wir in Dünkirchen ankamen, wir wollten nach Frankreich oder England, sahen wir auf einmal, dass die belgischen Soldaten anmarschiert kommen. Sie hatten nicht einmal anständige Schuhe an, in Hausschuhen. Die Gewehre nehmen und weglegen am Straßenrand und weiterlaufen. Von der anderen Seite kamen die englischen Soldaten, die Tommys. Wir erkannten sie an den flachen Helmen. Die gingen dieselbe Straße zurück und gaben den Menschen, die da flüchteten, es waren hauptsächlich Belgier und wenige Juden, Keksdosen und solche Sachen. Dann begannen sie zurückzugehen. Sehr rasch kamen dann riesige Autos mit deutschen Soldaten. Die Soldaten stiegen aus den Autos und luden die Zivilisten auf die Autos, um sie wieder nach Brüssel zurück zu führen. Da fuhren wir dann natürlich auch wieder mit. Sie wussten ja nicht, wer wir sind und wo sollten wir hin? Die Engländer sind auf ihre Schiffe und wieder zurückgefahren. Wir mischten uns unter die Zivilisten. Dabei hat meine Mama zum ersten Mal in ihrem Leben das Meer gesehen. Ich natürlich auch.
Ununterbrochen ist dort geschossen worden. Zu der Zeit waren schon Aufrufe in Brüssel, dass sich die Männer melden sollen, damit sie nach Frankreich deportiert werden. Benno ging nicht hin. Ich weiß nicht, damals glaubte ich, dass man sich nicht melden muss, später hörte ich, dass man gezwungen wurde. Elie und Heini meldeten sich und kamen dann in ein Sammellager und dann nach Le Vigeant und Saint Cyprien. In beiden Lagern waren auch Spanienkämpfer. Heini versuchte von dort wegzukommen und Elie wurde mit einem Brieferl aufgefordert, sich auf der Botschaft zu melden. Er war sehr schwer typhuskrank. Aber am besten erzählt er dir das selbst. Er bekam eine Schiffskarte und konnte mit dem letzten Schiff nach San Domingo ausreisen.